Samstag, 14. September 2019

Die Gründerzeit

Die Gründerzeit Eva Maria Schnurr & Joachim Mohr

Inhalt:
In Deutschland setzte die Industrialisierung spät ein – und verlief dafür umso rasanter. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts werden aus überschaubaren Manufakturen riesige Fabriken, Weltmarken wie AEG, BASF, Bosch, Krupp oder Siemens entstehen. Unternehmer werden so wichtig wie Politiker, Arbeiterführer zu mächtigen Männern. Die Bevölkerung wächst, der Lebensstandard auch, es gibt mehr Reiche, aber auch ein Millionenheer von Armen, und in der Mittelschicht bildet sich eine bürgerliche Kultur mit eigener Literatur und Architektur heraus. SPIEGEL-Autoren und Historiker zeigen im vorliegenden Buch, wie grundlegend sich Deutschland in der Gründerzeit wandelte – und wie wir dabei zu einer der erfolgreichsten Wirtschaftsnationen der Welt wurden.

Meine Meinung:
Das Buch an sich erzählt sachlich und gut recherchiert von der Industrialisierung in Deutschland. Einige große Konzerne, die auch heute noch einen Namen haben werden in ihrer Gründungsgeschichte beleuchtet. Interessant ist die Entwicklung der Unternehmen, ebenso wie der sozialen Schichten und der daraus wachsenden neuen Lebensmöglichkeiten. Die Entwicklung ist wirklich sehr interessant dargestellt und zeigt eindrucksvoll den Charme aber auch das Risiko seiner Zeit. 
Der Schreibstil ist flüssig zu lesen und die dargestellten Fakten gut nachvollziehbar.
Was mich allerdings stört ist, dass die Texte bzw. Auszüge davon bereits in der Reihe Spiegel Geschichte erschienen sind. Ich denke hier werden einige Leser über die Dopplung staunen und enttäuscht sein. 


Sonntag, 8. September 2019

Roter Hunger: Stalins Krieg gegen die Ukraine

Roter Hunger: Stalins Krieg gegen die Ukraine


Inhalt:
Die umfassende Darstellung eines der größten Menschheitsverbrechen

Der gegenwärtige Konflikt um die Ostukraine und die Krim ist ohne diese historische Last nicht zu verstehen - der erzwungene Hungertod von mehr als drei Millionen Ukrainern 1932 und 1933, Holodomor genannt, war eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Und sie hat Folgen bis heute – Stalins „Krieg gegen die Ukraine“ hat sich tief im kollektiven Bewusstsein der osteuropäischen Völker verankert.

Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum vereint in ihrer Darstellung auf eindrückliche Weise die Perspektive der Täter und jene der Opfer: Sie zeigt Stalins Terrorregime gegen die Ukraine, die Umstände der Vernichtungspolitik - und verleiht zugleich den hungernden Ukrainern eine Stimme. Ein gewaltiges Buch, erschütternd und erhellend zugleich.

Meine Meinung:
Anne Applebaum betont in ihrem Buch die politische Dimension der großen Hungerkatastrophe. Dabei betrachtet sie diese nicht isoliert sondern in die russische/sowjetische Geschichte verwoben und erklärt Zusammenhänge aufschlussreich. 
Die Ukraine lieferte bereits den Zaren Lebensmittel. Ihr Volk galt nicht als eigenständig. Zu Beginn der 1920er Jahre machten Lenin und die Bolschewiki zwar einige Zugeständnisse an das Nationalgefühl der Ukrainer, besonders im Bildungswesen und in der Kultur. Doch in Moskau herrschte stets Misstrauen gegenüber den Ukrainern. Nach den Wirren der Revolutions- und Bürgerkriegszeit stand für die Bolschewiki fest, dass die ukrainischen Bauern aufsässig und politisch unzuverlässig seien, dass die Ukraine ausländischen Feinden als Einfallstor nach Russland diene. Wachsamkeit war daher angeraten und ein energisches Vorgehen gegen jegliche Versuche der Ukrainer, die straffe Kontrolle durch Moskau zu lockern oder gar abzuschütteln.
Die Gewaltmaßnahmen und die ausbeuterische Politik des Regimes stürzten die Landwirtschaft in eine schwere Krise. Hunderttausende Bauern wurden deportiert. Den neugegründeten Kolchosen wurden übertrieben hohe Abliefermengen für Getreide und andere Nahrungsmittel auferlegt.
Während der schlechten Ernte 1931 fielen Beschaffungsbrigaden über die Bauern her, um die Versorgung in den Industriezentren zu sichern. Sie raubten alles essbare und das Saatgetreide der Bauern, ohne Rücksicht auf Verluste.
Im Frühjahr 1933, als die Hungerkatastrophe ihren Höhepunkt erreichte, legte der Diktator in einem Brief an den Schriftsteller Michail Scholochow seine Sicht der Dinge mit brutaler Offenheit dar: Die Bauern der Ukraine hätten einen "Krieg gegen die Sowjetmacht" vom Zaun gebrochen; sie seien an ihrem Elend selbst schuld. Seit Anfang 1932 war abzusehen, dass in der Ukraine und anderen Regionen eine Hungersnot drohte. Die Moskauer Führung tat jedoch nichts, um das Unheil abzuwenden. Weder reduzierte sie die Ablieferquoten der Kolchosen, noch schickte sie Lebensmittel in die Hungergebiete. Über den Hunger wurde öffentlich nicht gesprochen. Das Ausland wurde nicht um Hilfe gebeten (anders als bei der Hungersnot von 1921/22). Schließlich wurde die Ukraine abgeriegelt, um die verzweifelten Bauern an der Abwanderung in andere Regionen zu hindern. Stalin war überzeugt davon, dass sich in der Ukraine Bauern und Intellektuelle gegen den Sowjetstaat verschworen hätten. Deshalb führte er in den Jahren des Hungers eine Kampagne gegen alle Kräfte, die als Wortführer des ukrainischen Nationalismus galten.
Applebaum beschreibt die zerrüttete und leidende Gesellschaft eindrucksvoll und schonungslos. Der Leser erhält Einblick in die tiefen Abgründe der damaligen Zeit und ist häufig schockiert.
Sie beschreibt die Sicht der Täter und der Opfer gleichermaßen. Sie schafft es erneut Geschichte und wissenschaftlich fundierte Daten in einen sehr angenehmen zu lesenden Sachbuch unterzubringen. Die Hintergründe zum Holodomor erschrecken auch nach vielen Jahren und werfen ein anderes Licht auf die aktuelle politische Situation in der Ukraine.
Ein unheimlich tiefgründiges und tatsächlich beeindruckendes Sachbuch. 

Schulding von Kanae Minato

Schulding von Kanae Minato



Vier Freunde, ein tragisches Unglück und die Frage nach der Schuld

Fünf Studenten aus Tokio wollen in einem abgelegenen Dorf zusammen ein paar Ferientage verbringen. Einer von ihnen, Hirosawa, kommt bei einem Autounfall auf einer kurvenreichen Bergstraße ums Leben. Drei Jahre später holt das schreckliche Ereignis die ehemaligen Studienkollegen ein. Sie erhalten anonyme Briefe, in denen sie des Mordes an ihrem Freund beschuldigt werden. Raffiniert erzählt die japanische Erfolgsautorin Kanae Minato von den zahlreichen Verkettungen, die zu dem tödlichen Unfall geführt haben, lockt den Leser gekonnt auf falsche Fährten, bis schließlich die tragische Wahrheit ans Licht kommt.

Meine Meinung:
Im Buch lernt der Leser Fukase kennen. Er ist ein eigenartiger Typ, der zurückgezogen lebt und bereits als Kind ein Außenseiter war. Er blickte immer neidisch zu den anderen Kindern, die gemeinsam spielten. Für ihn gab es scheinbar nur seine Bücher....
An der städtischen Universität lernt er Yoshiki Hirowawa kennen, den ersten Jungen in seinem Leben, den er als richtigen Freund bezeichnet. Aber dann kommt es zu dem verhängnisvollen Abend, an dem Hirowawa tödlich verunglückt und fortan müssen Fukase und die anderen drei jungen Männer damit Leben, eine Mitschuld an Hirowawas Tod zu tragen. Denn obwohl er getrunken hatte ließen sie es zu, dass Hirowawa sich ins Auto setzte um einen der Freunde am Bahnhof abzuholen.

Was wirklich geschah weiß niemand, bis alle Beteiligten Jahre später einen Brief erhalten..... der alles ändert.

Der Schreibstil ist ruhig und sachlich, dennoch flüssig zu lesen. Der Klappentext ließ mich eine andere Geschichte erwarten.... was aber der eigentlichen Story nicht geschadet hat.
Szenen werden bunt beschrieben. Auch die Charaktere sind bunt gemischt, vom super Sportler bis zum super Nerd, was mir wirklich sehr gut gefallen hat. Vor allem Fukase fand ich sehr interessant. Er wurde perfekt beschrieben und man konnte sich richtig in seine Lage hineinversetzen. Ein viel zu braver Typ, der alles für seine Mitmenschen tun würde.
Die Namen erschwerten mir das flüssige Lesen etwas. Der Einstieg ins Buch war zunächst holprig, aber dran bleiben lohnt sich in diesem Fall wirklich.

Ein Buch, das Trauer und Schuld unglaublich ruhig und dennoch schwermütig thematisiert und dessen Ende dem Leser den Boden unter den Füßen wegzieht.

4 von 5 Herzen